Konzert 2018: Renaissance


Ausschnitte aus dem Chorkonzert vom 23. Juni 2018, Video von Rolf Zimmermann

Hauptprobe vom 19.06.2018, Zeitraffer-Video von Caspar Schlegel

Der Klang der Renaissance – eine musikalische Zeitreise

Samstag, 23. Juni 2018 | 20:00 Uhr | Kirche Hedingen
Sonntag, 24. Juni 2018 | 17:00 Uhr | Kirche Hedingen

Leitung: Hannah Lindner
Gitarre: Urs Stirnimann

Tempus est iocundum oder Miserere?
Spass und Ernst in der Musik von Renaissance bis Frühbarock.

Die Cüpli-Bar ist eine Stunde vor und nach den Konzerten geöffnet.
Eintritt frei | empfohlene Kollekte Fr. 25.–
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Programm

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Rahmenhandlung:
Texte zur Musikgeschichte: Hannah Lindner
Ausführender: Vivian Naef
Idee: Peter Lanzendörfer

hier geht es zu den ausführlichen Programmerläuterungen von Hannah Lindner

 

„Tempus est iocundum, oder Miserere?“

Expression und Introspektion in der Musik der Renaissance und des Frühbarock (Text von Hannah Lindner)

– Tempus est iocundum (Anonymous)

Tempus est iocundum, ja, angenehm ist die Zeit, in welcher der Frühling die Säfte beherrscht, und alles blüht und grünt und nach Liebe ruft. In unserem ersten Lied, eine Melodie unbekannter Herkunft, mit dem Text aus dem „Codex Buranus (179)“, der im 11.-13. Jh. verfasst wurde, haben wir von der Lust der fleischlichen Liebe gesungen, welche nach dem gedämpften Winter wieder aufsteigt. Diese frivolen Themen wurden in der Vagantendichtung des Spätmittelalters bevorzugt behandelt. Wir kennen heute eher noch die höfische Dichtung des Minnesangs, in welchem die Liebe überhöht, meist platonisch dargestellt wurde. Aber natürlich liebten auch die Menschen des Spätmittelalters und der beginnenden Neuzeit erdige, süffige und gerne auch zotige der Liebe…

Unser zweites Lied, „Margot Labourez les vignes “ kommt aus dem Frankreich des frühen 16. Jh.; der Stil des Komponisten Jacques Arcadelt ist um einiges kunstvoller als der unseres Eröffnungsliedes. Vieles ist passiert in der Zwischenzeit in der Musikgeschichte, und der vierstimmige Gesang, mit dem in den vorherigen Jahrhunderten noch experimentiert wurde, ist nun fest etabliert, zumindest in gebildeteren Kreisen. Wir sind hier also schon nicht mehr in der „Volksmusik“ unterwegs. Der Tonfall und Inhalt aber ist nach wie vor fröhlich und – natürlich – um die Liebe bemüht. Die fleissige Margot, welche frühmorgens im Weinberg zur Arbeit geht, wird besungen.

– Margot Labourez les vignes (Jacques Arcadelt 1507-1568)

Und hier nun noch eine eher an die Minnesang-Tradition angelehnte Dichtung und Musik: „Belle qui tiens ma vie captive dans tes yeux – Schöne, die du mein Leben in deinen Augen gefangen hältst“. Nur ein Kuss kann den Verliebten vor dem sicheren Sehnsuchtstod retten…

– Belle qui tiens ma vie (Th. Arbeau 1519-1595)

Die Zeit, aus der diese Liebeslieder stammen, das 16.Jh., war in Europa auch eine Zeit grosser Glaubenswirren. Die jahrhundertelange Vorherrschaft der katholischen Kirche, welche bis weit in jedes politische Geschehen hinein gereicht hatte, war am zerbrechen. Die Wogen schlugen hoch, gelinde gesagt. In dieser Zeit legte gerade die katholische Kirche grossen Wert darauf, dass die Musik im Gottesdienst nur zur Unterstreichung des heiligen Ernstes im Lob Gottes diene. Im Konzil zu Trient (noch mehr nachlesen), welches von 1545-1563 (beinahe zwanzig Jahre!) tagte, wurde dann auch explizit beschlossen, dass die Musik, die wir Ihnen gleich singen werden, die ideale Musik zum Lobe Gottes sei. Der Komponist, dem diese Ehre zu Teil wurde hiess: Giovanni Pierluigi da Palestrina. Seine in inniger Andacht ruhig dahin fliessende Musik ist frei von theatralischen Affekten oder aufgeregter Emotion. Und ja, es vermittelt einem ein Gefühl von ewigem Aufgehobensein… Wir singen Palestrinas Vertonung des Pfingsthymnus, „Veni creator spiritus“, „Komm, Schöpfer Geist“. Die in dieser Komposition immer wieder auftauchenden gregorianischen Abschnitte schlagen stilistisch einen Bogen zu den Anfängen der Kirchenmusik. Was den Bischöfen und Kardinälen des Konzils von Trient jedenfalls auch gefallen haben dürfte, und für unsere heutigen Ohren den schönen meditativen Eindruck der Musik Palestrinas noch vertieft.

– Veni Creator Spiritus (Giovanni Pierluigi da Palestrina 1525-1594)

Ausserhalb der Kirche wurde allerdings fleissig weiter geworben um die Liebe… die englische Musik erlebte Ende 16. und Anfang 17. Jh. eine Hochblüte, die es schwierig macht, sich für ein Lied zu entscheiden – es gibt einfach so viel Schönes aus dieser Zeit. Die folgenden zwei Lieder stehen als Beispiele für einen Reichtum an charmanten und ausdrucksvollen Liedern – welche mit der von der katholischen Kirche propagierten emotionalen Ruhe und Gleichmütigkeit nicht viel am Hut hatten. Das erste, „April is in my mistress’ face“, beschreibt die Angebetete in Jahreszeiten: ein frühlingsfrisches Gesicht, ein julifeuriger Blick, eine herbstpralle Figur – und, oje, ein dezemberkaltes Herz! Das zweite Lied, „Come again“ ist wieder ein später Nachkomme des mittelalterlichen Minnesanges. Wie bei „Belle qui tiens ma vie“ wird hier das sichere baldige eigene Ableben wegen Liebesschmerz an den Schluss der poetischen Umwerbung der Liebsten gehängt. Wir gehen davon aus, dass der amouröse Sänger seine Laute frischfröhlich bei der Nächsten Schönheit wieder auspackte, und das Lied wieder vortrug…

– April is in my mistress’ face (Thomas Morley 1558-1603)
– Come again (John Dowland 1563-1626)

In der Kirche durfte natürlich nur eine Frau besungen werden: Maria.
Dies machte Carlo Gesualdo auf musikalisch höchstem Niveau, wie wir gleich hören werden. Pikant für uns heutige Hörer ist daran, dass derselbe Gesualdo, der mit „Ave, dulcissima Maria“ die heilige Jungfrau so innig verehrt, seine eigene erste Ehefrau erstach, als er sie beim Fremdgehen erwischte. Und ihren Liebhaber grad dazu. Da Gesualdo sich aber als Graf rechtlich einiges mehr erlauben konnte als Normalsterbliche Leute, war die Sache mit der Stiftung eines Klosters und einer Kapelle erledigt. Ob ihm die Sache seelisch gut tat ist eine andere Frage; es heisst, Gesualdo sei mit dem Alter immer depressiver geworden.
Wir werden euch nun als Nächstes Carlo Gesualdos „Ave, dulcissima Maria“ vortragen, die intensive und gleichzeitig meditative Vertonung eines Mariengebets. Anders als Palestrina bringt Gesualdo die kühnen harmonischen Wendungen, mit welcher viele Komponisten dieser Zeit experimentierten in die kirchliche Musik hinein – das Bestreben der hohen Kirchenmänner, die expressive, impulsive Welt aus dem Gottesdienst draussen zu halten, war halt einfach schon wegen der Kreativität und musikalischen Neugierde der Komponisten zum Scheitern verurteilt…

– Ave, dulcissima Maria (Carlo Gesualdo 1566-1613)

Es gibt in der Zeit des späten 16. und frühen 17. Jh. einen Komponisten, der alle anderen an musikalischem Neuerungswillen und Mut zum Unbekannten übertrifft: Claudio Monteverdi. Er gilt gemeinhin als der „Erfinder der Oper“, war er doch derjenige, der die sogenannte „Seconda Prattica“, die Kompositionslehre welche den musikalisch ausgedeuteten emotionalen Affekt beschrieb, formulierte, und gleich auch genial umsetzte. In dem Werk das wir euch vortragen werden, nimmt Monteverdi einen Text des berühmten Dichters Francesco Petrarca als Grundlage. „Hor, che’l ciel e la terra, e il vento tace“ eignet sich perfekt dazu, die neue Art von musikalischer Textausdeutung umzusetzen zuerst wird die Landschaft beschrieben, das Meer, welches bewegungslos und schweigend liegt, die Nacht, welche ihren Sternenwagen zieht darüber… und in dieser Landschaft liegt der Verliebte wach. In seiner Brust ist einen Krieg der Leidenschaft, immer denkt er an seine Angebetete, und das macht ihn ganz fertig. Er findet paradoxer weise nur dann ein wenig Frieden, wenn er an seine Angebetete denkt. Claudio Monteverdi macht seinem Ruf als Erfinder der Oper hier alle Ehre. Das ganze Gedicht macht er in der Musik quasi sichtbar. Man hört das ruhige Meer, sieht den weiten Raum, erlebt hautnah die wilde und intensive Klage des Verliebten. Und ist mit ihm zusammen erleichtert, wenn dann eine kurze friedliche Entspannung kommen kann in diesem Sturm der Leidenschaft. Der zweite Teil des Gedichtes, „Cosi sol d’una chiara fonte viva“ vertieft die im ersten teil beschriebenen Zustände – man könnte sagen: himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.

– Hor, che’l ciel e la terra (Claudio Monteverdi 1567-1643)

Was Claudio Monteverdi ausprobierte und formulierte, nahmen auch viele andere Komponisten der Epoche als Grundlage ihres Schaffens: Dass die Emotion, in der Vokalmusik der Text, möglichst genau dargestellt werden kann. Und natürlich wurde dies auch in der geistlichen Musik angewendet. Wo bei Gesualdo noch die Intensität und Kühnheit der Harmonik im Vordergrund stand, also mehr ein klangliches Ausloten der musikalischen Möglichkeiten stattfand, war nun eine Generation später die Wortausdeutung grosse Mode. Ein sehr eindrückliches Beispiel davon gibt uns Johann Hermann Schein in seiner Teilvertonung des 42. Psalms „Was betrübst du dich, meine Seele“. Der fragende Anfang, die bewegte, hastige Unruhe, das Harren auf Gott in säulenhaften Akkorden – dies alles macht die Musik auf für das 17. Jh. neuartige Weise zu fast schon plastischen Tonbildern.

– Was betrübst du dich, meine Seele (Johann Hermann Schein 1586-1630)

Das letzte Stück unseres Konzertes ist ein von musikalischer Legende umwobenes Werk. Es ist das „Miserere“ von Gregorio Allegri. Diese Vertonung des 51. Psalmes gefiel der römischen Geistlichkeit so gut, dass sie unter Androhung der Exkommunikation verbot, das Stück ausserhalb der Sixtinischen Kapelle aufzuführen. Der „Miserere“-Busspsalm von Allegri wurde ausschliesslich dort, und nur in der Karwoche aufgeführt. Und das etwa 150 Jahre lang, bis, so weiss es die Legende, ein vierzehnjähriger Junge Namens Wolfgang Amadeus Mozart das Werk nach einmaligem Hören aus dem Gedächtnis aufschrieb, und es so der Oeffentlichkeit zugänglich machte.
Das Miserere ist in seiner Schlichtheit ein Meisterwerk des innigen, introspektiven Stils der den Kirchenoberen immer so gefiel, und ein würdiger ruhiger Abschluss unserer doch recht bunten musikalischen Reise durch vier Jahrhunderte europäischer Geschichte.

– Miserere (Gregorio Allegri 1582-1652)